Erschienen in Gazette Steglitz August 2019
Auch an Sommertagen, an denen die Sonne nicht vom Himmel brennt, ist sie genau der richtige Ort zum Ausspannen und Entdecken, „Naherholungsgebiet“ und Freilichtmuseum zugleich: Die Domäne Dahlem gibt mit ihrer interaktiven Sonderausstellung „Herdanziehungskraft“ im Herrenhaus des Landguts Einblick in den sozialen Raum „Küche“ – vom mehr als 14.000 Jahre alten Kochstein bis zur mobilen Kochstelle von morgen, wobei Lebensmittel in dieser Ausstellung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr wird die Rolle von Mann und Frau in der Küche ebenso in Augenschein genommen wie die Entwicklungsgeschichte der Küche – von der Feuerstelle über das im Herd gehütete Feuer bis hin zum Ort, der Kochstätte, Labor und Sozialraum in einem ist. Genderaspekte und das Thema Inklusion kommen dabei nicht zu kurz. Mit Küchenhelfern aus verschiedenen Epochen und zeitgenössischen Interviews erzählt die Ausstellung weitaus mehr als banale Küchengeschichten. Wieder einmal präsentiert sich die Domäne Dahlem damit „beständig lebendig“.
Dabei wird kultureller Vielfalt Raum gegeben, so dass eine Koscher-Schublade zur Aufbewahrung von milchigem und fleischigem Besteck ebenso wenig unter den Exponaten fehlen darf wie ein Döner-Messer.
Für die seit Frühjahr 2018 an der Domäne Dahlem als Museumsleiterin und Kuratorin tätige Tanja Petersen war die Konzeption und Organisation der Ausstellung eine ebenso spannende wie herausfordernde Aufgabe, welche sie an der Seite von Domäne-Direktorin Marit Schützendübel mit Bravour, eigener Handschrift und viel Fachwissen gemeistert hat.
Unter der Federführung der Domäne Dahlem wurde die (Wander-)Ausstellung in Kooperation mit den Partnermuseen des Ausstellungsverbunds Alltag/Arbeit/Aufbruch/Anstoß erstellt: Mit dem Freilichtmuseum am Kiekeberg in Hamburg-Harburg, dem Freilichtmuseum Hessenpark und dem Freilichtmuseum Kommern im Rheinland.
In sieben Ausstellungsstationen werden thematische Schwerpunkte gesetzt.
So wird im ersten Raum der Ausstellung daran erinnert, dass in der Menschheitsgeschichte das Feuer schon früh einen hohen Stellenwert besaß: Es diente als Wärmequelle, half dabei, aus rohen Nahrungsmitteln durch Erhitzen eine höhere Energieausbeute zu gewinnen und gleichzeitig lebensbedrohende Keime abzutöten. Die frühen Menschen hüteten das aus Blitzeinschlag und Waldbränden natürlich entzündete Feuer, bevor es ihnen gelang, mittels Feuersteinen daraus selbst Funken zu schlagen.
Im Herd bändigte man später dieses Feuer. Wie Station zwei zeigt: „Eigener Herd ist Goldes wert“ wussten schon unsere Urgroßeltern, wobei der Herd bis heute Symbol des eigenen Zuhauses ist. Kochmaschinen, Sparherde, Gasherde und der intelligente Herde unserer Tage zeigen sich in Dahlem dem Besucher. Auch die Puppenküche vergangener Tage, die kleine Mädchen spielerisch auf ihre spätere Aufgabe „am Herd“ vorbereiten sollte, zeigt sich in unterschiedlicher Ausführung.
An weiterer Station geht es um Küchengeschichten und Küchenlatein. Was macht den eigentlichen Arbeitsraum Küche doch so attraktiv und lässt manch gelungene Party in der Küche enden? Küchenforschung sucht das schon länger zu klären, humorvoll auch vom Schiedsrichterstuhl von höherer Warte aus.
Passend zum Jubiläum „100 Jahren Bauhaus“ zeigt der 3,44 Meter x 1,87-Originalgrundriss der von Margarete Schütte-Lihotzky konzipierten „Frankfurter Küche“, wie über weniger zeitraubende Schritte und Handgriffe sowie mit Einbauherd, -spüle und -schränken die Küchenarbeit für die Hausfrau effektiver gemacht werden sollte. Die Wiener Architektin legte mit diesem Küchenentwurf bereits 1926 den Grundstein für spätere moderne Einbauküchen, die in den 50er-Jahren flächendeckend in deutsche Haushalte einzogen.
Ein buntes Gesellschaftsbild malt die Ausstellung mit Küchenporträts unterschiedlichster „Küchenbewohner“: Für Studierende über Schwule, Rentner und Rollstuhl-fahrende bis hin zum Arbeiter wird die Küche da zur Bühne aller Altersgruppen.
Im nächsten Ausstellungsraum ist „alles in Ordnung“. Küchenhelfer von skurril bis beliebt geben die koloniale Vergangenheit Deutschlands wieder, stehen für vorbildliche Vorratshaltung und haben sich im Laufe der Zeit manchmal gar nicht so sehr verändert, wie beispielsweise die Küchenreibe. Da verrät auch die von Geburt an blinde Mandy Hamann den Ausstellungsbesuchern ihren liebsten Küchenhelfer.
Dass sich von den unterschiedlichen Küchenhelfern auch soziale Aspekte ablesen lassen, zeigt die Station „Flut der Dinge“. Benötigte man bis ins 19. Jahrhundert für das Kochen in Kesseln über dem Feuer lediglich Löffel und Messer, änderte sich das mit Herd und Backröhre. Fleischwolf und Reibe, aber auch Kochbücher wurden attraktiv. In den 20er-Jahren fanden erste elektrische Küchenhelfer wie Toaster und Wasserkocher den Weg in die städtischen Küchen. Diese Küchenhelfer erhielten fast immer weibliche Namen; heute undenkbar, auch wenn immer noch in der Werbung die Küchenhelfer überwiegend von Frauen präsentiert werden.
Die Station „Ausgekocht? Kochen will gelernt sein!“ beschäftigt sich mit den harten Arbeitsbedingungen und dem geringen Verdienst auszubildender Köche und Köchinnen, mit der Entwicklung des Berufs von der Antike bis heute. Dabei werden auch die aktuellen Probleme der Kochbranche aufgezeichnet, die so fern von Sterneküche und Kochshow liegen.
Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zur letzten Station „Utopia. Die Küche der Zukunft.“ Zurück zur mobilen Küche oder automatisiertes Lifestyle-Objekt? Es wird immer weniger zu Hause gekocht, die Küche wird dennoch neues Statussymbol, vernetzt und mit modernsten Küchengeräten.
Doch eines hat sie sich über alle Epochen bewahrt: Die Kochstelle als zentraler Mittelpunkt des gemeinsamen Lebens.
„Es war ein dickes Brett zu bohren, um diese Ausstellung in relativ kurzer Zeit aufzubauen.“ Doch dank guter Zusammenarbeit mit Direktorin Maren Schützendübel und einem breiten Stamm an Ehrenamtlichen sei dies in ihrem ersten Jahr an der Domäne Dahlem gelungen, erklärt die studierte Museumspädagogin und Historikerin, Diplom-Biologin und Ökologin, die an der Freien Universität Berlin ihr Diplom und ihr Staatsexamen in Geschichte-Erziehungswissenschaften machte. Damit bringt sie reichlich Rüstzeug aus Naturwissenschaftlichem und Pädagogischem Bereich für das Museum der Domäne Dahlem mit, das sie seit April 2018 leitet.
Die gebürtige Lankwitzerin war u. a. rund 20 Jahre an der Stiftung Jüdisches Museum Berlin tätig. Als deren ehemalige Kuratorin für Vermittlung und als Bildungsleiterin sowie als langjährige Vorstandsvorsitzende im Länderverband Museumspädagogik Ostdeutschland e. V. bringt sie auch daraus wichtige Erfahrungen in das Haus in Dahlem ein.
„ Wie erreicht man die breite Öffentlichkeit? Wie adressiert man ein Thema und wie bereitet man es auf?“ Diese Fragen hat sich die Kuratorin nicht nur vorab der Sonderausstellung gestellt. Positiv vom Museumsbesucher beantwortet möchte Tanja Petersen diese Fragen auch in Zukunft sehen. Jedem will sie im Museum Fachwissen durch richtige Übersetzung verständlich vermitteln. Dabei denkt sie auch an die zukünftige Zusammenarbeit mit Schulen, Berufsschulen und Auszubildenden. Vielfalt der Geschlechter und Kulturen, Inklusion, aber auch Kooperationen mit Handwerksbetrieben und das Thema NS-Zeit mit seinen Auswirkungen sollen dabei nicht in Vergessenheit geraten, sondern eine Museums-Zukunft vorhersagen, die alle einbezieht und zur Diskussion anregt. – So wie die aktuelle Sonderausstellung, die noch bis zum 5. Januar 2020 läuft. Öffnungszeit des Museum im Herrenhaus: Mittwoch bis Sonntag 10-17 Uhr.
Zur Ausstellung ist eine gleichnamige Publikation erhältlich; ein vielseitiges Begleitprogramm sowie spezielle Führungen für Schulklassen werden geboten.
Zum Vormerken: Am 24. November 2019 von 15-17 Uhr: Familien-Mitmach-Sonntag „Minna, Lotte und ein Pfannenhund“. – Die Entwicklung von der Feuerstelle bis zum Thermomix. Mit Blick in die Küchen der Zukunft und mit kleinem Imbiss. Preis: 14,-/10,- €
Jeden ersten Do. im Monat von 16.30-17.30 Uhr Kuratorinnen-Führung, Preis: 2.-€
Jacqueline Lorenz
Domäne Dahlem Freilichtmuseum
Königin-Luise-Straße 49
14195 Berlin
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