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Dem Wind ausgeliefert

Gordon-Bennett-Weitfahrt für Ballons startete 1908 in Schmargendorf

Erschienen in Dahlem & Grunewald Journal Oktober/November 2019
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Ein Verleger und die Begeisterung von Ballons trafen sich 1906, als der US-Amerikaner James Gordon Bennett, Herausgeber des New York Herald, einen Preis für einen internationalen Ballonwettbewerb auslobte. Der erste Wettbewerb startete in Paris. Die folgenden Wettbewerbe mussten im Land des jeweiligen Siegers ausgetragen werden. 1906 siegte der Amerikaner Frank Lahm. 1907 starteten die Ballon in St. Louis. Siegreich blieb der Deutsche Oscar Erbslöh. Folgerichtig startete der Wettbewerb 1908 in Deutschland. Für den Startplatz mussten zwei Bedingungen zusammenkommen: Viel Platz und genügend Gas, damit die Ballons schnell befüllt werden konnten. Beide Voraussetzungen erfüllte Schmargendorf. Der Ballonplatz lag direkt neben der Gasanstalt. Sie befand sich am Lochowdamm, heute Fritz-Wildung-Straße. Auf dem Gelände des Gaswerkes ist heute das Schwimmbad Wilmersdorf. Laut Statuten durften aus jedem Land drei Ballons, besetzt mit zwei Ballonfahrern, starten.

Bunter Himmel über Schmargendorf

Ein weiterer Pluspunkt von Schmargendorf ist die gute Erreichbarkeit mit der Ringbahn, so dass viele Berliner und Bewohner der umliegenden Orte an dem Ereignis teilhaben konnten. Als der Wettkampf mit einem Massenstart begann, waren die drei Tribünen für die Zuschauer bis auf den letzten Platz besetzt. Ballonfahrwettbewerbe waren beliebte Ereignisse und dementsprechend gut besucht. Laut Zeitungsberichten aus der damaligen Zeit war „halb Berlin“ in Schmargendorf anzutreffen. Und auch diejenigen, die keine Karten ergattern konnten, standen in den Straßen mit Blick zum Himmel. Den besten Blick soll man damals vom Tempelhofer Feld auf die fliegenden Ballons gehabt haben. Am Nachmittag um drei Uhr starten die ersten Ballons, die schon prall gefüllt an den Leinen zerren. Die Startfolge entschied man per Los. Gestartet wurde mit erfahrener Hilfe. Das Luftschiffer-Bataillon löste die Seile mit sicherer Hand und gab die Ballons frei. Doch gleich nach dem Start ereignete sich ein Unfall, glücklicherweise ohne Verletzungen der Ballonfahrer. Der amerikanische Ballon Conquerer platzte nur wenige Minuten nach dem Start und kam in Wilmersdorf herunter. Die Ballonhülle bremste die Fallgeschwindigkeit, so dass es bis auf den Ballon keine Verluste gab.

Nach 73 Stunden in Norwegen

Beim Start waren die Ballonfahrer voller Hoffnung. Stünde der Wind günstig, könnten sie es bis nach Russland schaffen. Vorjahressieger Oscar Erbslöh war erst im September in 23 Stunden 1350 Kilometer weit bis nach Südrussland gekommen. Doch der Wind hat seine eigenen Gesetze, die er die Ballonfahrer spüren ließ. Als der erste Ballon auf der Höhe von Prag war, drehte der Wind. Die Ballons wurden zurückgetrieben. Am Ende der Fahrt landeten einige in der Nordsee, was zur Disqualifikation führte. Laut Reglement musste ein genauer Landepunkt bestimmt werden, was auf dem Wasser nicht möglich war. Andere landeten vor der Küste. Nur ein Ballon blieb verschwunden. Das befürchteten Teilnehmer und Veranstalter zumindest. Doch nach 73 Stunden meldete sich der Schweizer Oberst Th. Schaeck aus Norwegen. Mit seinem Ballon Helvetia legte er die weiteste Strecke zurück und gewann den Preis der Gordon-Bennett-Weitfahrt von 1908, die ihren Anfang in Schmargendorf hatte.

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