Erschienen in Gazette Zehlendorf Oktober 2019
Siegfried aus Neuenhagen hat bereits Hühner, die Workshop-Teilnahme bekam er von seinem Sohn, der ihn begleitet, zum Geburtstag geschenkt. Freya aus Prenzlauer Berg will hier erste Hühnerinfos sammeln, und Erzieher Gert aus Zehlendorf überlegt, an seiner Grundschule ein Hühnerprojekt mit Kindern zu starten. 15 erwartungsvolle Hühnerfreunde und -freundinnen warten zusammen mit mir, die zugegeben sehr wenig Hühnererfahrung mitbringt, an strahlendem Spätsommermorgen auf Einlass ins Gutshaus des Freilandmuseums Domäne Dahlem. Vom Hühnerstall klingt vielversprechendes Hühnergackern zu uns herüber.
Die seit über 20 Jahren in dem Bioland-Betrieb mit Archehof arbeitende Diplom-Landwirtin Astrid Masson, Mitglied in der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V. (GEH), wird in den nächsten fünf Stunden die Geheimnisse fachgerechter Hühnerhaltung in Theorie und Praxis weitergeben; mit dem Ziel, die Teilnehmer danach als zukünftige glücklicherer Hühnerhalter noch glücklicher Hühner zu entlassen. Die Fachfrau nennt einen wichtigen Grund, weshalb sie die Hühner-Workshops hält: „Wir leben seit Jahrtausenden mit Nutztieren zusammen, aber wissen doch so wenig über sie.“
Hühner in der Stadt – ein Trend, der hin zu mehr Naturbesinnung und Gesundheitsbewusstsein sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Aktuell gibt es in Berlin nur etwa 350 Legehennen, Tendenz steigend. Mit weltweit etwa 20 Milliarden Exemplaren gilt das Huhn jedoch als häufigstes Haustier.
Um diesen Tieren und ihren Bedürfnissen in der Hobby-Tierhaltung gerecht werden zu können, leisten Domäne Dahlem und GEH mit ihrem Workshop-Angebot Hühnern und Menschen wichtige Hilfestellung hin zu artgerechter und sinnvoller Hühnerhaltung, aber auch für den Erhalt gefährdeter Hühnerrassen, die auf der aktuellen Roten Liste gefährdeter Nutztierrassen stehen.
Im ersten Teil des Workshops, der im Gutshaus stattfindet, geht es dann auch um Grundkenntnisse über Verhalten, Bedürfnisse, Fütterung und Gesundheit von Hauptakteur Huhn: Wir erfahren dabei, dass etwa 100 Legehennen der gefährdeten Hühnerrasse Deutscher Sperber in festgebautem oder mobilem Stall auf der Domäne leben, nach strenger Hackordnung und mit reichlich Auslauf. Außerdem bewohnen Hähnchen bis zur Schlachtreife einen weiteren Stall. Sie werden dann in einem Biohof-Betrieb geschlachtet, da die Domäne keine Schlachtlizenz hat. Im Hofladen der Domäne Dahlem werden sie später verkauft.
Wir erfahren weiter, auf bis zu 25 Hühner – im Idealfall auf 6-12 – kommt ein Hahn, es geht in der privaten Hühnerhaltung aber auch ohne „Hahn im Korb“. Zwar wird es für die Nachbarn in diesem Fall ruhiger, doch den Hennen fehlt damit ein für ihr Wohlbefinden wichtiger Sozialpartner und wachsamer Aufpasser, der lautstark vor Fressfeinden und Eierdieben wie Fuchs, Waschbär, Marder oder Habicht warnt, seinen Hennen gute Futterplätze zeigt, Streit schlichtet und sie regelmäßig tritt.
Während Hennen alter Haustierrassen jährlich um die 150 Eier legen, sind es bei hochgezüchteten wirtschaftlich genutzten Hybridlegehennen um die 350. Da es dazu keine Untersuchungen gibt, lässt sich lediglich aus Erfahrung sagen, dass alte Hühnerrassen eine längere Legeleistung erbringen als ihre Hochleistungs-Kolleginnen.
Und dann erfahren wir, wie genügsam Hühner eigentlich sind, die pro Tier etwa einen Quadratmeter Platz benötigen, unbedingt Scharrmöglichkeit haben müssen und auch mal Küchenabfälle (außer Fleisch) erhalten dürfen. Bei geringem Platzangebot ist ein fressfeindsicherer Mobilstall zu empfehlen, der je nach Bodenbeschaffenheit verschoben werden kann. Und wenn es dann noch einen überdachten und gesicherten Wintergartenauslauf gibt, steht gesunden und glücklichen Hühnern kaum noch etwas im Weg. Damit dies auch kein Nachbar tut, sollte sich vor der Anschaffung von Hühnern unbedingt mit der gesamten Nachbarschaft abgestimmt werden. Auch das zuständige Veterinäramt ist hinzuzuziehen. In städtischen Gegenden müssen zum Lärmschutz Hennen und Hahn von 19 Uhr bis 8 Uhr aufgestallt bleiben.
Eventuelle Krankheiten, Impfungen und das Thema Fertigfutter werden von Astrid Masson ebenso zur Sprache gebracht wie die Frage nach der richtigen Hühnerrasse, die man anschaffen sollte. Möglichst eine alte, gefährdete Hühnerrasse sollte gewählt werden. Denn diese oft gegendtypisch bestens angepassten Rassen stehen für Tradition und sind ein Kulturgut, das es zu erhalten gilt.
Wie Kleintierzüchter auch verkauft die Domäne Dahlem Hennen und Hähne aus ihrem Sperber-Zuchtbestand. Doch wer seine Hühner selbst ausbrüten und Küken haben möchte, kann dies mithilfe einer Brutmaschine tun, sollte sich aber rechtzeitig Gedanken machen, was mit überzähligen Hähnchen geschehen soll.
Auskunft über geeignete Züchter und alte Rassen gibt die GEH, die passende Hühner-Broschüre mit Roter Liste ist auf der Domäne Dahlem erhältlich.
Dem lebenden Huhn kommen wir an diesem Vormittag immer näher. Dass Hühner fast nachtblind sind, wussten wir schon, aber dass sie etwa drei- bis fünfmal schneller schauen als wir, ist vielen Teilnehmern neu. Deshalb reichen im Hühnerstall bereits 5 Lux Helligkeit, um die Tiere nicht zu überreizen. Woran erkennt man ein gesundes Huhn? Die Antwort finden wir dann endlich im praktischen Teil des Workshops, von den meisten Teilnehmern freudig erwartet. Im Domäne-Junghennen-Stall mit Auslauf sind die Hennen untergebracht, die in diesem Jahr am 17. April und am 9. Mai geschlüpft sind.
Das „Hühnerschlafzimmer“ aus schräg übereinander angebrachten Holzlatten garantiert nahezu vogelmilbenfreie Schlafplätze mit Ausblick. Nur eine Henne macht es sich zur Mittagszeit darauf bequem, während ihre Gefährten zu dieser Zeit eher die Futterspender frequentieren oder im mit Elektrozaun gesicherten Vorgarten nach Käfern und Würmern scharren.
Die erhöhten Legebuchten sind leer. „Noch haben die Junghennen nicht gelegt“, erklärt Landwirtin Astrid. Doch dann stolziert der gefiederte Hausherr besonders auffällig hinter einer der Hennen her. „Da könnte es bald so weit sein“, vermutet die Fachfrau mit geschultem Auge. Sie schlendert an der Henne vorbei und fängt sie mit geübtem Griff aus der Gruppe heraus. Nach kurzem aufgeregtem Gackern gluckert das Huhn auf ihrem Arm zufrieden vor sich hin. Die Augen sind klar, das Gefieder glänzt, saubere Kloake, keine federlosen Stellen. Etwas über zwei Kilo Henne wandern wohlig warm und fedrig von Arm zu Arm. Die Körpertemperatur bei Hühnern schwankt je nach Tageszeit zwischen 39,3 °C und 43,6 °C, ist gegen 16 Uhr am höchsten und gegen 24 Uhr am niedrigsten. Unser Huhn auf dem Arm hechelt. Hühner können nicht Schwitzen, kühlen sich durch Hecheln oder Abspreizen der Flügel ab, wie Astrid erklärt. – Und wenn es besonders heiß ist, springen sie auch schon mal ins Wasserbecken der Enten.
Siegfried, der Hühnererfahrene, zeigt, dass er ein Huhn hypnotisieren kann: Kopf unter den Flügel gesteckt, sanft hin und her geschaukelt und auf dem Boden abgelegt, das Huhn rührt sich nicht. Erst als Astrid den Kopf wieder vorsichtig unter dem Flügel hervorholt, ist die Henne ganz die alte. Was wie Hypnose aussah, ist ein für Hühner typischer Reflex. Gleiches Phänomen erfahren wir wenig später, als eine Henne mit dem Kopf nach unten hängend gewogen wird. Ohne Zucken und Flattern lässt sie das Prozedere über sich ergehen, bis sie aufrecht gehalten „wiedererweckt“ wird.
Unser Huhn auf dem Arm indessen lehrt die Teilnehmer noch mehr: Die Legebeine gilt es zu ertasten, zwei spitze Knochen am Ende vom Legeorgan. Stehen sie etwa daumenbreit auseinander, ist die Henne legebereit. Unsere Junghenne dürfte in den nächsten Stunden ihr erstes Ei legen, der Hahn hatte das richtige Gespür. Zum Schluss kommt auch er auf den Arm und verschafft sich bei uns wegen seiner Kraft und seines deutlich höheren Gewichts doch gehörig Respekt.
Wenig später stolziert er wieder selbstbewusst durchs Außengehege, an seiner Seite trippelt verzückt gackernd unsere Henne.
Neben vielen interessanten Einzelheiten haben alle Teilnehmer bei diesem Workshop gelernt:
Hühnerhaltung ist nicht sehr kompliziert, erfordert aber regelmäßige Zeit, tägliche aufmerksame Betreuung und verständnisvolle Nachbarn. Dazu einen sauberen, fressfeind-sicheren Stall, geeignetes Futter, Sand zum Scharren und Picken – immerhin bis zu 15.000-mal pickt ein Huhn täglich – sowie abwechslungsreichen Auslauf auf gesicherter Freifläche.
Siegfried hat doch noch etwas für seine Neuenhagener Hühnergruppe dazugelernt, Freya will irgendwann aus Prenzlauer Berg wegziehen, um Hühner zu halten, und Gert muss noch einiges mit den Nachbarn klären.
Ich aber habe gelernt: Was gibt es Schöneres, als einfach nur stiller Beobachter der Hühner zu sein. Ihr Glucken, Gackern und Krähen, Picken, Scharren und Flattern zu beobachten, bedeutet Entspannung und Erholung pur, hier in der Stadt auf der Domäne Dahlem, die mit ihrem Bildungsangebot jeden erreicht, der nur etwas Naturverständnis mitbringt.
Auch wenn ich mir keine eigenen Hühner halten werde, die sichtlich glücklichen Domäne-Hühner werde ich jetzt öfter besuchen – auch, um ihre Eier im Hofladen mit gutem Gewissen zu kaufen.
Hühner-Workshops für Einsteiger mit Astrid Masson finden in der Domäne Dahlem zweimal jährlich statt.
Genaue Termine, Kosten und Anmeldung für 2020 zu erfragen unter masson@domaene-dahlem.de oder Telefon 030-666 200 12
Weitere Informationen unter www.domaene-dahlem.de
Informationen zu „Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e. V.“ unter www.g-e-h.de
Jacqueline Lorenz
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