Erschienen in Gazette Wilmersdorf Oktober 2019
Die Gitarre war schon als Jugendlicher sein Begleiter. Die Liebe zur Musik, zu Akustik und Menschen, die sich im künstlerischen Raum begegnen, hat sich Rainer Mohr bis heute bewahrt.
Daran teilnehmen lässt der promovierte Apotheker Rainer Mohr mit seinen „Spätsünder-Veranstaltungen“ Gleichgesinnte, denen er in regelmäßigen Konzerten neben versierten Akteuren in Meisterkonzerten auch wahre Meister ihrer Klasse präsentiert – vor goldenem Vorhang in fast privat-familiärer Atmosphäre, quasi mit Künstlern zum Anfassen.
Ein- bis zweimal monatlich finden diese Veranstaltungen derzeit überwiegend im Saitenflügel-Konzertsaal des Alt-Lietzower Künstlerhofs in Berlin-Charlottenburg statt, doch der ehrenamtlich tätige Veranstalter kann sich durchaus auch andere Orte vorstellen für seine vor goldenem Vorhang stattfindenden und von ihm moderierten Musik-Events.
Dieser Spagat ist Rainer Mohr mit Bravour gelungen. Sein tägliches Brot verdient er im Hauptstadtbüro der Mediengruppe des Deutschen Apotheker-Verlages, der sein ehrenamtliches Projekt „Spätsünder“ immer wieder großzügig finanziell unterstützt.
Einst arbeitete der Apotheker beim Bundesgesundheitsamt in der Arzneimittelzulassung, pendelte zwischen Bonn und Berlin, bis ihm die eintönige Arbeit zu unbefriedigend wurde. Er wechselte zum Deutschen Apotheker-Verlag, den er nicht zuletzt wegen seiner Mitarbeiter-Verbundenheit schätzt.
Doch in seiner Freizeit ist es die Musik, das Organisieren und Veranstalten von Konzerten, in denen der Hobbymusiker inzwischen sowohl hochrangige Amateure als auch Meistermusiker auf die Bühne holt. „Der gute Ruf meiner Veranstaltungen mit Amateurkünstlern ließ schließlich auch anerkannte Profis anfragen, außerdem habe ich mir im Laufe der Jahre ein umfangreiches Netzwerk aufgebaut, in dem heute manch künstlerisches Highlight zu finden ist – besonders aus dem Bereich der Meistergitarristen“, betont Rainer Mohr. Er selbst tritt gemeinsam mit seinem Freund Dr. Günter Berg auf, singt im Baruther Backstreet Chor und ist für seine versierte Moderation bekannt. Die Bühne lässt ihn nicht mehr los.
Bühnenblut geleckt hat Hobbymusiker Mohr durch erste Auftritte mit Gitarre und Gesang auf kleineren Bühnen, wobei er seine kreative Seite entdeckte. Im Flughafen Tempelhof trat er 1997/98 im Musical-Ensemble von „Space Dream“ als Sternenvolk-Darsteller auf, ebenso in einem A-capella-Chor, der irgendwann zerbrach. „Eigentlich wollte ich immer Popmusik singen“, erinnert sich Mohr. Von nun an suchte er sich selbst seine Auftrittsorte, gesellte Amateure aus der musikalisch-künstlerischen Szene dazu.
Das ist Rainer Mohrs Motto für seine Spätsünder-Konzerte. 2001 schlug die Geburtsstunde der sogenannten Spätsünder: Menschen, die erst später im Leben nach ganz anderer Haupttätigkeit ihre Lust an Kreativität entdecken und aus Lebensfreude die Bühne erklimmen, sich damit im positiven Sinne eine kleine Sünde gönnen.
Diesen Spätsündern und versierten Amateuren gab Rainer Mohr seit 2002 ein unkommerzielles Podium, sich einem musikliebenden, die Begegnung schätzenden Publikum zu präsentieren – in Galerien, Ateliers und schließlich in der ersten angemieteten Remise in einem Kreuzberger Hinterhof, der „Do-Remise“. Bald schon galt der Musiktreff als Geheimtipp, zu dem auch Profis den Weg fanden. „Wahre Gitarren-Meister wie Nora Buschmann, Christina Lux oder Stephan Bormann standen auf einmal auch auf meiner Bühne“, beschreibt Rainer Mohr den zweiten Zweig seiner Spätsünder-Veranstaltungen – die Meisterkonzerte.
Nach Ablauf des Mietvertrages der Do-Remise rückte Mohr Berlin-Lichterfelde ein Stück näher. Im SÖHT 7 fanden die Spätsünder ihre nächste Bühne. Gitarrenklänge hallten nun durch die Gänge des ehemaligen Frauengefängnisses, denen Rainer Mohr nicht zuletzt durch die gelungene Symbiose von Ausstattung und Moderation eine ganz besondere Atmosphäre verlieh. Doch auch dieser Ort war nur ein Zuhause auf Zeit. „Lichterfelde-West ist ein angenehmes Podium für die Musikkultur“, betont Rainer Mohr, der auch im Bahnhof Lichterfelde-West gerne seine Künstler präsentiert. Die nächste Veranstaltung ist dort für den 22. April 2020 bereits mit Harald Hensel vom Förderverein Bahnhof Lichterfelde vereinbart.
Der Künstlerhof hat Geschichte. 1888 wurde auf dem Grundstück Alt-Lietzow 12 ein Industriegebäude in typischem Gründerzeitstil gebaut, das Anfang des 20. Jahrhunderts von einer Brauerei, später dann von der Bärenlikör-Fabrik genutzt wurde. Danach zog eine Wäscherei in die Kellergewölbe.
Mehrere Jahre arbeitete Erich Mühsam (1878-1934), Schriftsteller, Lyriker und „ Anarchist, der die Gewalt hasste“, in Alt-Lietzow. 1934 wurde Mühsam im KZ Oranienburg ermordet.
Das Haus Alt-Lietzow 12 wurde in den späten 60ern zum Treffpunkt der freien Westberliner Filmszene. Seit1982 arbeiten in den Künstlerhof-Ateliers u. a. bildende Künstler, Videofilmer, Keramiker, Schriftsteller, Bildhauer, Musiker, Musikinstrumentenbauer und Journalisten.
Die bildende Künstlerin und Kulturpädagogin Brigitte Arndt, selbst seit 1987 Mieterin eines Ateliers, hatte die Vision, an diesem Ort unterschiedliche Künstler zu vereinen, als Bezirks-Leuchtturm kontinuierlichen Austauschs von Kunst und Kultur.
Gemeinsam mit dem Tischlermeister und Projektleiter Frank Schroedter holte sie in Eigeninitiative und unterstützt vom Kulturbüro, Veranstaltungen wie Theater, Konzerten, Lesungen, Seminare und Ausstellungen in die geschichtsträchtigen Räume. Nach langjährigen Bemühungen wurden beide Akteure 2017 Eigentümer des Hauses und gründeten die gGmbH Alt-Lietzow 12. Nun entsteht im Haus ein nachhaltiges Ensemble, das u. a. Galerie, Eventräume, Gartentreff und Seminarräume bietet, und weitere preisgünstige Ateliers sind geplant.
Rainer Mohrs erhielt von der befreundeten Brigitte Arndt die Anregung, seinen goldenen Seidenvorhang zukünftig auch in ihren Künstlerhof Alt-Lietzow 12 in Charlottenburg zu hängen.
Seit April 2019 kann Mohr nun den Saitenflügel-Konzertsaal mit Bühne und Flügel der namhaften Violinistin Michiko Lena Feuerlein für seine Veranstaltungen und Spätsünder-Meisterkonzerte nutzen.
Die eingenommenen Eintrittsgelder fließen zu 70 Prozent an die Künstler, der Rest wird für anfallende Kosten genutzt, reicht jedoch nur selten aus.
Organisierte und führte Rainer Mohr seine Spätsünder-Konzerte von Anfang an ehrenamtlich in Eigenregie und unterstützt von seiner Frau, weiß er nun ein zehnköpfiges, ebenfalls ehrenamtlich arbeitendes Team hinter sich, so dass ihm mehr Zeit bleibt, die finanzielle Zukunft der „Spätsünder“ zu planen. Dazu benötigt das Projekt Fördergelder, deren Genehmigung jedoch eine Strukturierung wie eine Genossenschaft oder einen Verein voraussetzt. Dann ließe sich vielleicht auch der große Traum von Rainer Mohr verwirklichen: „Es wäre wunderbar, wenn ich auch als Rentner noch kreativ sein und mit musikliebenden Menschen zusammenarbeiten könnte – möglichst in einem eigenen Musikraum.“
Jacqueline Lorenz
Konzerte
Im Oktober 2019 finden drei Spätsünderkonzerte im Künstlerhof statt:
Am 5. Oktober um 20 Uhr „Duo Essenz“: Arabische Laute (Faleh Khaless) und spanische Gitarre (Johannes Treml) entführen in eine andere Welt.
Am 12. Oktober um 20 Uhr: Elektronische Musik und phantastische Soundwelten der „Berliner Schule“ mit „Filter-Kaffee“ (Frank Rothe & Mario Schönwälder).
Am 17. Oktober um 20 Uhr: Clive Carroll – Virtuose auf der akustischen Gitarre, von Blues bis Jazz, von Irish Folk bis Klassik.
Eintrittspreise: 16 € bei Vorreservierung, 18 € an der Abendkasse, 14 € Ermäßigung.
Anmeldung zum Spätsünderabend am 7. Dezember 2019, um selbst einen Klang-, Kabarett-, Parodie- oder Gesangsbeitrag beizusteuern, oder Vorschläge zu Räumlichkeiten für zukünftige Konzerte unter Telefon 0179 1110985 oder E-Mail info@spaetsuender.com.
Konzertreservierung, Informationen und Termine unter www.spaetsuender.com
Saitenflügel-Konzertsaal L12 im Künstlerhof Alt-Lietzow 12
Alt-Lietzow 12
10587 Berlin(U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz, U7)
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