Grünes Paradies für Mensch und Natur
Kolonie Wildkraut macht ihrem Namen alle Ehre
Erschienen in Gazette Steglitz Juli 2024
Mietshäuser rechts und links vom Ostpreußendamm in Lichterfelde, dazwischen ein Weg, den man leicht übersieht. Doch wer ihn einschlägt, der gelangt nach nur wenigen Schritten in ein grünes Paradies, das den Großstadtlärm mit Vogelgezwitscher und Bienensummen hinter sich lässt. Hier, unweit des Teltowkanals, liegen die Kleingartenkolonien „Erbkaveln“ und „Wildkraut“ auf einstigem Baumschulgelände des Bezirks. Die Nachbarn unterscheiden sich jedoch in einigen Dingen: Während der Kleingartenverein Erbkaveln einer herkömmlichen Kolonie mit seinen durch Zäune abgeteilten Parzellen und geharkten Gartenwegen eher den üblichen Berliner Kleingärten entspricht, bietet die Kolonie Wildkraut auf den ersten Blick viel unberührte Natur. – Und das ist durchaus gewollt, denn sie ist als Öko-Kolonie 2008 auf dem einstigen Steglitzer Baumschul-Standort nach umfangreichem Bodenaustausch entstanden, unterstützt und initiiert vom damaligen Bezirksbürgermeister und Kleingartenfreund Norbert Kopp gemeinsam mit Ralf-Jürgen Krüger, dem damaligen 1. Vorsitzenden des Bezirksverbandes der Kleingärtner Steglitz e. V.. An die Zeit der Baumschule auf dem Gelände erinnern auch noch 16 Jahre nach Gründung der Öko-Kolonie die gerade an heißen Sommertagen kühlende Obstbaumallee alter Sorten wie Mispel & Co sowie der mit altem Waldbaumbestand gesäumte Weg durch die Anlage. Dass sich hier Mensch, Tier und Pflanze gleichermaßen wohl fühlen, daran zweifelt niemand, der einmal vorbei an kniehoher Katzenminze und duftendem Thymian in dieses besondere Kleinod eintauchen durfte.
Grünes Prinzip…
Das Konzept, nach dem die 47 ohne Zäune ineinander übergehenden Parzellen begärtnert werden, ist nachhaltig: Naturnähe und Umweltbewusstsein stehen hier an erster Stelle, auch wenn für die Anlage das aktuelle Kleingartengesetz gilt, das mindestens ein Drittel der Parzellenfläche zur kleingärtnerischen Nutzung vorsieht. Elektrischen Strom gibt es nicht, dafür fließend Kaltwasser und eine große Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren. Catrin Freiberg, Vorsitzende der Öko-Anlage, erklärt: „Zu Beginn war die Anlage ein überschaubares Quadrat.“ Inzwischen ist der einstige von Beifuß und Brennnessel überwucherte Acker nicht wiederzuerkennen: Hohes Buschwerk, das Vögeln Nistplatz und Nahrung, Versteck- und Überwintermöglichkeit bietet, dazu Wiesen- und Wildkräuter, die Insekten anziehen und eine durchdachte Pflanzenauswahl, die etwa 46 Wildbienenarten hierher gezogen hat, darunter die schwarze Holzbiene – Wildbiene des Jahres 2024 – und die Hosenbiene.
Für das Wildkraut-Wildbienenprojekt gab es Fördergelder vom Senat. Honigbienen gibt es hier auch, allerdings begrenzt, denn sie sollen den Wildbienen keine Konkurrenz machen. Auch die Totholzhecke war ein gefördertes Projekt, und dass auf Bodenversiegelung und Kies unter Terrassen verzichtet wird, ist selbstverständlich. Es wird weitgehend ökologisch mit Holz gebaut, dabei sollen auf Dauer nicht mehr als drei Bauwagen auf dem Gelände stehen. Biolasur ersetzt den Holzschutz. – Kurz, ein Biotop ist entstanden, wie man es in der Stadt sonst wohl kaum findet, außer auf der am Spandauer Forst gelegenen ähnlichen Öko-Anlage „Naturnahe Gärten Niederheideweg“.
...zugunsten der Umwelt
Kunstdünger, Pestizide, Torf und Chemie sind auf „Wildkraut“ tabu, dafür steht gemeinsam hergestellter Kompost, der einmal jährlich vom Landschaftsgärtner umgesetzt wird, hoch im Kurs. Die Wege sind grasbewachsen, Unkraut gibt es ja eigentlich gar nicht, hat jedes Kräutlein doch seine eigene wichtige Aufgabe. Was dem soliden Kleingärtner vielleicht unordentlich scheint, ist die der Natur eigene und dienliche Ordnung. Zufrieden schnürt der Jungfuchs durchs hohe Gras, hoffend, hinter der Regentonne eine leckere Maus zu erwischen. Sieglinde Durst, Kassenwartin, betont: „Unser Fuchs hält Mäuse und Ratten in Schach, wir teilen daher gerne unser Gelände mit ihm.“ Der Fuchs scheint´s zu wissen, entfernt sich ohne jede Hast.
Igel dagegen sind selten geworden, trockene Sommer machen dieser Spezies ebenso zu schaffen wie unbedacht eingesetzte Mähroboter. Die fehlenden Zäune auf der Öko-Anlage Wildkraut nutzen nicht nur der Bewegungsfreiheit der Tiere, auch Menschen finden so leichter zueinander und ins Gespräch miteinander, das sich dann auf schattigen Naturholz-Bänken unter hohen Bäumen fortsetzen lässt. Gegen die dickfelligen Wildschweine allerdings, die gerne den Teltowkanal durchschwimmen, ist der hohe Zaun rund um die Anlage mit wildsicheren (geschlossenen!) Toren unverzichtbar, würden die Tiere sich doch sonst von Parzelle zu Parzelle vorwärts wühlen.
Bei den Pflanzen stehen einheimische Gehölze im Vordergrund, mit Beeren als Tierfutter. „Doch der Klimawandel lässt uns schon überlegen, wie wir die Anlage für die Zukunft vor übermäßiger Hitze schützen können, damit die Beeren nicht verbrennen und Böden austrocknen“, erklärt die 1. Vorsitzende, denkt dabei auch an stärkere Beschattung durch Baumbesatz. Obstbäume sind erwünscht, am liebsten die alten Sorten. Doch das ließe sich nicht immer durchhalten, weiß Catrin Freiberg: „Wenn jemand ein handelsübliches Bäumchen geschenkt bekommen hat, kann er das natürlich bei uns auch einpflanzen.“ Sie begrüßt auf der Anlage übergreifendes Wirtschaften der Nachbarn, beispielsweise beim Bearbeiten eines gemeinsamen Johannisbeer-Beetes. Dabei darf – da der Boden ursprünglich aufgeschüttet wurde – nicht tiefer als 60 Zentimeter gegraben werden.
Auf der Anlage wird der Wasserkreislauf vorbildlich genutzt. Regentonnen stehen überall, Tongefäße in den Beeten speichern Wasser und geben es an den Boden ab. Außerdem werden auf der Anlage Fledermauskästen auf der Waldallee und vom BUND angebotenen „waschbärensichere“ Nistkästen eingesetzt. Die Pflege des auf dieser Anlage stärker als in herkömmlichen Kolonien vorhandenen Rahmengrüns mit Wald- und Obstbaumallee erfordert einen hohen Anteil an Eigeninitiative.
Der Mensch in der Natur
Die Altersstruktur der Parzellen-Inhaber ist gemischt, etliche von ihnen wohnen in den Hochhäusern nebenan und blicken aus dem Fenster auf ihre Parzelle. Jüngere Interessenten für Parzellen gibt es immer, doch sind ihre Vorstellungen von Öko-Kleingartenpflege manchmal noch etwas verklärt und müssen vom Vorstand geradegerückt werden. Denn Öko bedeutet nicht gleich, alles wachsen zu lassen wie es will und nicht einzugreifen. Und Besucher, die in der Anlage durchaus willkommen sind, sollten sich an Regeln halten: Das Abernten der Obstbäume erfolgt gemeinsam von den Kolonie-Mitgliedern, unkontrolliertes Abreißen der Früchte mit Ast schadet den Bäumen und bereitet der Öko-Anlage zusätzliche Kosten und Mühe. Und auch wenn es keine Zäune gibt: Quer über Parzellen zu laufen und vielleicht auch noch Gemüse und „Schnittblumen“ zu „ernten“, ist nicht die ganz feine Art. Ansonsten lohnt sich ein Spaziergang über die Anlage allemal, kommt man doch schnell mit naturverbundenen Menschen ins Gespräch, von denen man viel Interessantes zum Thema Öko-Gärtnern erfahren kann. Ihr Wissen geben sie übrigens auch regelmäßig zusammen mit selbst gezogenen Jungpflanzen und Samen im Wechsel zum alljährlichen Tag der Stadtnatur bei ihrem öffentlichen Kolonie-Fest weiter. Und wer noch mehr Kleingarten-Kultur erleben möchte, dem sei die Nachbar-Kolonie Erbkaveln ans Herz gelegt: Blühende duftende Gärten und die als Förderprojekt frischangelegte Streuobst-Bienenwiese mit der alten Sorte „Prinzenapfel“, mit Magerwiese und Benjes(Totholz)hecke lohnen auch hier einen Besuch.
Informationen unter www.kleingaertner-sind.net/kleingarten-anlagen/wildkraut/
Jacqueline Lorenz