Soziokulturelles Zentrum statt bröckelnde Endstation?
Verein engagiert für lebendige Zukunft des Tramdepot Schöneberg
Erschienen in Gazette Schöneberg & Friedenau Februar 2025
Die Initiative Tramdepot ist 2017 hervorgegangen aus dem damaligen Bürgerbeteiligungsverfahren, auf das der Senat nur wenig überzeugend reagiert hatte.
Sie ist seitdem ideenreich engagiert, um eine Aktivierung des Straßenbahndepots in der Belziger Straße in Schöneberg voranzutreiben und dem seit Jahren festgefahrenen politischen Prozess rund um das Depot entgegenzuwirken. Seit 9. Dezember 2024 ist die Initiative nun offizieller Verein mit 16 Gründungsmitgliedern und vier gleichberechtigten Vorständen, genau drei Monate nach Start der sehr gut angenommenen und an Innensenatorin Spanger, Finanzsenator Evers und Bausenator Gaebler gerichteten Petition auf der Plattform change.org, die Einbeziehung des Areals in den öffentlichen Raum und Erstellung eines Modellverfahrens zur kooperativen Entwicklung des Tramdepots fordert. Zu Redaktionsschluss lagen bereits 1.562 Unterschriften vor. Die fachkundigen Akteure des Vereins kommen ebenso aus der direkten Nachbarschaft wie aus den Bereichen Architektur, Planung, Bildung und Kultur sowie dem gesamten Akazienkiez und der Urbanen Praxis, einem Aktionsfeld an der Schnittstelle zwischen Kunst, Kultur, Architektur, Umwelt, Bildung, Jugend, Sozialem und Sport. In erster Reihe dabei ist Dr. phil. Alexander Stumm, der u. a. Architekturtheorie und Entwerfen an der Uni Kassel sowie Architekturgeschichte lehrt. Ein Ziel des frisch gegründeten Vereins ist es, transparent alle Nachbarn und Interessierte in sämtliche Schritte seiner raumbelebenden Planungen und Konkretisierungen zur Umwandlung des derzeit mit Stacheldraht der Öffentlichkeit vorenthaltenden Areals in ein neues soziokulturelles Zentrum im Akazienkiez mit einzubeziehen. „Als Modellprojekt für demokratische Entwicklung im Kiez, das viele Ideen berücksichtigt“, erklärt Dr. Alexander Stumm, der auch Erfahrung aus der Mitarbeit an der TU Berlin als Lehrbeauftragter am Fachgebiet Architekturtheorie mitbringt. Aktuell finden monatliche Vereinstreffen statt. Der Austausch mit themennahen Vereinen sowie diversen Gruppen mit verschiedenen Expertisen ist dabei festes Programm.
Am 15. Februar ist ein ganztägiger Workshop zur Nutzungskonzept-Entwicklung mit Vertretern aus Nachbarschaft und Architektur geplant, als „Startschuss für diese demokratische Projektentwicklung.“ Erste konkrete Schritte sollen ausgearbeitet werden, mit Luft nach oben für weitere Ideen aus Teilnehmerkreisen. Weitere Informationen für Interessierte unter www.tramdepot.berlin. Kontakt für potentielle Vereinsmitglieder unter mail@tramdepot.berlin
Projekthintergrund
Seit Jahren ist die Zukunft des ehemaligen Straßenbahndepots mit seinen drei denkmalgeschützten Gebäudeschiffen, das in den vergangenen Jahren von der Polizei als Abstellplatz für beschlagnahmte Fahrzeuge genutzt worden war, Gegenstand politischer Diskussionen. 2017 hatte der Bezirk ein Bürgerbeteiligungsverfahren gestartet, das nicht nur bei der Nachbarschaft große Resonanz hervorrief. 2022/23 dann erstellte die Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt für das Depot eine Machbarkeitsstudie für Probebühnen der Berliner Theater in zwei Hallen sowie für eine soziokulturelle Nutzung im dritten Schiff. Nun wollte die Senatsverwaltung für Inneres und Sport 2025/26 eine weitere Machbarkeitsstudie für ein Polizei- und Feuerwehrmuseum auf dem historischen Gelände auf den Weg bringen. – Umbaubeginn würde voraussichtlich nicht vor 2030 sein, wenngleich dies bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Haushaltsplanung wohl kaum umsetzbar sein dürfte.
Wertvolle Gelder in sechsstelliger Höhe gehen so für wenig sinnvolle Machbarkeitsstudien verloren, die wesentlich effektiver in eine Zukunft des Geländes zugunsten der Öffentlichkeit investiert werden könnten. Mitte 2024 gab die Polizei bekannt, das Gelände für weitere fünf Jahre als Abstellplatz zu nutzen. Eine Zwischennutzung zugunsten der Öffentlichkeit wurde im Mai 2024 vom Senat abgelehnt. Der Bezirk mit Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann fühlt sich übergangen, schließlich sei das Depot eine Entwicklungschance für das soziale und kulturelle Leben im Bezirk.
Derzeit liegt das innerstädtisch potenzialreiche Gelände verlassen da, dem Verfall preisgegeben. Waschbären machen es sich indessen darauf gemütlich. Der ehemals von der Polizei als Einbruchschutz installierte Stacheldraht mit Einzäunung lassen das aktuell so minderwertig genutzte, landeseigene rund 15.000 Quadratmeter große Gelände zum Niemandsland der Innenstadt werden. Die bereits 2017 im Rahmen der Bürgerbeteiligung zur Nachnutzung des Areals erfolgten Ergebnisse blieben unbeachtet.
Ausschlaggebend für das gestartete Modellprojekt des Verein Tramdepot war im Mai 2024 die gemeinsam von der Uni Kassel, Uni Stuttgart und Urbane Praxis e. V. organisierte Summer School „Der kleinstmögliche Eingriff: Straßenbahndepot“. Das Projekt bestand aus dem Design Build-Projekt Mobile Haltestelle sowie aus Gesprächen mit aussagekräftigen Akteuren um das Straßenbahndepot (Bezirk, BIM, Architekt, etc.). Unterschiedliche Bedarfe, Vorschläge und Wünsche des Bürgerbeteiligungsverfahrens aus dem Jahr 2017 wurden ausgewertet. „Vielplatz“ spielte dabei auf die unterschiedlichen Zukunfts-Möglichkeiten des Straßenbahndepots an. Das Design Build Projekt der Mobilen Haltestelle entstand im Rahmen der einwöchigen Summer School: Dabei nimmt die Konstruktion konzeptionell die Themen des ehemaligen Straßenbahndepots – Konnektivität, Mobilität und Vernetzung im Stadtraum – auf. Die Studierenden bauten eine Holzkonstruktion auf Rädern mit Hilfe der Werkstatt und tatkräftiger Unterstützung von Constructlab in der Stadtwerkstatt Friedrichshain-Kreuzberg, Dragoner Areal, mit Re-Use-Materialien aus dem Haus der Materialisierung. Die Konstruktion besitzt Holz-Stoff-Vordach, Sitzfläche und Tresen. Sie ist rollbar mit integriertem alten Neon-Licht-Schild. – Denn ein wichtiges Anliegen des Projekts war die Wiederverwendbarkeit: Die mobile Haltestelle steht aktuell in der Stadtwerkstatt im Dragonerareal und ist vielfach nutzbar, also wäre auch in den Hallen des Tramdepots einsetzbar.
Zukunftsmusik
Gesammelte Ideen unter Beteiligung der Bürger gibt es aus Reihen des Verein Tramdepot reichlich, um eine ebenso sinnvolle wie Innenstadt-gerechte Entwicklung des Depots der Zukunft Schritt für Schritt zu realisieren und dem jahrelangen Aussitzen von höherer Stelle aus ein Ende zu bereiten: Bietet sich doch lagebedingt eine Öffnung des Geländes an, um Wartburgplatz und Heinrich Lassen Park für die Anwohner fußläufig zu verbinden und zusammenzuschalten. Nicht alle Hallen müssten von Anfang an zur Nutzung freigegeben werden, sondern erst einmal ein bis zwei mit großzügigem Vorplatz, um das Gelände sukzessive erschließen zu können. So sucht aktuell dringend eine Holzwerkstatt mit Bildungsangebot für geflüchtete Jugendliche rund 1000 Quadratmeter Raum. Sie könnte den Nukleus des Geschehens bilden, zu dem sich weitere sinnvolle Akteure gesellen, die möglichst wenig Inventar benötigen. Mittelfristig zu überlegen bliebe die Frage nach Mietverträgen oder der Gründung einer Genossenschaft, wie sie im Klavierwerk Lankwitz erfolgreich angelaufen ist. Fachleute wie Statistiker, Architekten und Freiraumplaner würden das Projekt fachkundig begleiten.
So gibt es, wie Dr. Alexander Stumm sagt, hier ein „besonders dickes Brett zu bohren“. Doch in Gemeinschaft mit Bürgern, Fachleuten, Bezirk und einem wohlwollenden Senat, dürfte auch das zu schaffen sein – für eine bürgerfreundliche Zukunft des Tramdepots im Akazienkiez.
Historie Betriebshof
Im Rahmen der Elektrifizierung des Streckennetzes erbaut, wurde der Betriebshof der Berliner Straßenbahn am 6. Februar 1899 an der Belziger Straße eröffnet. Auf 24 Hallengleisen bot die Wagenhalle dreigleisig Platz für bis zu 280 Straßenbahnwagen. Im hinteren Teil lagen Werkstätten und Diensträume, während sich die Verwaltung in einem separaten Gebäude an der Belziger Straße befand. Die Anlage steht heute unter Denkmalschutz. Zu den vom Hof aus eingesetzten Linien zählten unter anderem (Stand: 1937) die 7 (Westring), 60 (Weißensee, Rennbahnstraße – Lindenhof), 88 (Steglitz, Stadtpark – Bahnhof Schönholz) und 95 (Bahnhof Köpenick – Schöneberg, Belziger Straße). Rund 170 Schaffner und Fahrer taten von hier aus ihren Dienst. Doch mit Ende der 50er-Jahre ließ der Straßenbahnverkehr immer mehr nach. Zuletzt fuhr verkürzt nur noch bis Bahnhof Zoo vom Betriebsbahnhof die Linie 55. Der Betriebshof wurde am 1. Oktober 1964 geschlossen, Reservewagen blieben auf dem Areal, das nun auch der Verschrottung diente. Danach wurde das Grundstück zur Unterstellung des Senatsfuhrparks sowie von der Berliner Polizei als Abstellfläche für sichergestellte Fahrzeuge genutzt. Bereits in den 1990er-Jahren war eine Umnutzung für künstlerische Zwecke vorgesehen. Aktuell wurde die erneute Veräußerung des Areals im November 2012. Im Januar 2013 erklärte die BVV Tempelhof-Schöneberg, das Bezirksamt solle die Empfehlung erhalten, das Grundstück nicht an den Meistbietenden zu veräußern. Den Zuschlag solle vielmehr derjenige erhalten, dessen Projekt den größten sozialen und kulturellen Nutzen aufweist. Schaffung von Wohnraum auf dem Gelände solle aber nicht ausgeschlossen werden.
Jacqueline Lorenz