Warmes Bett statt kalte Brücke
Notübernachtung in Wannsee sucht neue Räume

Erschienen in Zehlendorf Mitte Journal April/Mai 2025
In Berlin spricht man von etwa 20.000 Wohnungslosen und 5.000 – 8.000 Obdachlosen. Die meisten von ihnen sind froh, wenn die Temperaturen nun wieder höher werden und damit das große Frieren unter Brücken oder etwas wettergeschützten Schlafplätzen im Freien für die nächsten Monate kein Thema mehr ist. – Denn die nur etwas mehr als 700 bestehenden Kältehilfe-Schlafplätze, die Bett statt Brücke bieten, waren auch in dieser Saison wieder heiß begehrte Nachtunterkunft. So blieb auch in der privilegierten Wohnlage Wannsee kein Bett in der von der Neuen Chance betriebenen Notunterkunft an der Bergstraße 4 leer. Doch es könnte an diesem Standort die letzte Wintersaison gewesen sein, in der Obdachlose hier „Bed & Breakfast“ fanden. Die einzige im Bezirk Steglitz-Zehlendorf zur Verfügung stehende Unterkunft, baulich in die Jahre gekommen, gilt von Bezirksseite in ihrem jetzigen Zustand als kaum zumutbar für Wohnungslose und sieht dem Abriss entgegen. Wie die betreibende gGmbH Neue Chance erklärt, kommt es immer wieder zu Wasserschäden im Inneren, doch noch sei der Nachtbetrieb ungestört durchführbar gewesen. Die tiefer sitzenden Bauschäden jedoch kann das Team nicht beurteilen.
Dazu erklärt Bezirksstadtrat Tim Richter: „Der Abriss des Gebäudes Bergstraße 4 ist aus unserer Sicht leider unumgänglich, da die Bausubstanz stark sanierungsbedürftig ist. Diese Defizite führen dazu, dass die Nutzung nicht mehr in allen Gebäudebereichen den geltenden baulichen Sicherheitsstandards entspricht, sodass eine weitere Nutzung nicht angestrebt wird. Es wurden nur Maßnahmen vor Saisoneröffnung zur direkten Nutzung vorgenommen, da eine vollständige Sanierung oder ein Abriss zu erwarten ist.“

Aktuell noch bis zum 30. April stehen jeden Tag in der Woche von 19 -7.30 Uhr sechs Schlafplätze für Frauen und sechsundzwanzig für Männer zur Verfügung. Willkommen sind alle Gäste, egal welcher Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Weltanschauung sie sind, betont dazu das Team Neue Chance. Und auch Haustiere unter Beaufsichtigung sind erlaubt.
Obdach mit Abrissqualität
Seit Corona vom Deutschen Roten Kreuz als Kältehilfe betrieben, gehörte das Gebäude in der Bergstraße 4 zuvor ebenso wie die anderen Gebäude Nr. 2, 2A, 2B, 2C und 4A über einen langen Zeitraum zum Fachvermögen des Jugendamts und stand bis zur Nutzung durch die Kältehilfe seit ca. 15 Jahren leer. Die Bausubstanz litt stark unter diesem Leerstand. Schon seit über zwei Jahren bringt dies Tim Richter vor unterschiedlichsten Ausschüssen zur Sprache. Das Amt für Soziales hatte das Gebäude schließlich in sein Fachvermögen überführt, mit dem Ziel, es durch einen Erbbaupachtvertrag an einen Träger zu vergeben, der das Gebäude grundlegend saniert. Dazu wurde 2019/20 ein Interessenbekundungsverfahren durchgeführt. Der Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags konnte bis zum heutigen Datum nicht abgeschlossen werden. Zunächst bestand die Herausforderung, den Wert des Grundstücks und der Immobilie zu bestimmen, da das Flurstück geteilt werden musste. 2023 ergab sich dann die zusätzliche Herausforderung, da die Infrastruktur des Gebäudes mit dem der Gebäude auf dem Nachbargrundstück verbunden war. Eine Sanierung wäre dementsprechend nicht losgelöst vom laufenden Betrieb auf dem Nachbargrundstück Bergstraße 2, 2A, 2B, 2C und 4A möglich. Während die Vorbereitungen zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags liefen und laufen, wurde das Haus schließlich jährlich doch für Angebote der Kältehilfe im Bezirk genutzt. Den Rest des Jahres stand es weiterhin leer. Inzwischen ist das bezirkliche Gebäude an der Bergstraße in deutlich schlechterem Zustand als beim 2019 gestarteten Interessenbekundungsverfahren. Aus dem Dach wächst inzwischen ein Baum, und es bröckelt an vielen Stellen. Nach Einschätzungen innerhalb der Fachabteilungen des Bezirksamts Steglitz-Zehlendorf ist eine Grundsanierung nicht mehr möglich. – Und potentielle Träger stehen aufgrund der drohenden hohen Kosten nun nicht mehr für eine Sanierung zur Verfügung, die unter keinem Aspekt wirtschaftlich vertretbar ist. Die erforderlichen Investitionen ständen in keinem angemessenen Verhältnis zum erwartbaren Nutzen. So sieht der Bezirk es vor dem Hintergrund des sich verschlechternden Gesamtzustands des Gebäudes auf Dauer für nicht mehr zumutbar, hier Hilfebedürftige der Kältehilfe unterzubringen oder es zur Beherbergung von Menschen zu nutzen. Das oberste Gebot für ein sachgerechtes Angebot der Kältehilfe ist aus Sicht des Amtes für Soziales eine menschenwürdige und sichere Unterkunft, die auch einen Standard für das Leben und die Gesundheit der Besucherinnen und Besucher bereithält. Die Fachabteilungen im Amt für Soziales und im Jugendamt prüfen Voraussetzungen, um einen Abriss durch die Träger beider Grundstücke voranzutreiben. Denn wenn die baufälligen und infrastrukturell miteinander verbundenen Gebäude (Bergstraße 4 und Bergstraße 2, 2A, 2B, SC und 4A) gemeinsam für einen Abriss vorbereitet würden, entfiele die Herausforderung der infrastrukturellen Verbindung der Gebäude.
Abhilfe schaffen bis zum nächsten Winter
„Unabhängig vom Gebäude in der Bergstraße 4 ist der Bezirk fest entschlossen, die Kältehilfe im Bezirk dauerhaft zu sichern“, betont Bezirksstadtrat Richter. So wurden bereits in der Vergangenheit durch den Bezirk diverse mögliche Standorte für die Kältehilfe geprüft, darunter die Objekte Königin-Luise-Straße 98, die „Alte Kantine“ (Ratskeller im Rathaus Zehlendorf), Objekte in der Schmarjestraße, der Thielallee, der Leonorenstraße sowie der Franzstraße. Auch Teile des Steglitzer Kreisels waren und sind in Überlegung. In die Bemühungen sind die Behörden des Landes sowie weitere Träger und Einrichtungen eingebunden. Der Bezirk stehe auch weiterhin im steten Austausch mit verschiedenen Institutionen, Trägern und Eigentümern, um mögliche Ausweichstandorte in Kooperation mit den Dritten zu finden, nachdem Angebote in bezirklichen Liegenschaften aufgrund der baulichen Zustände, der begrenzten Verfügbarkeit geeigneter Immobilien sowie der hohen baurechtlichen Anforderungen wohl nicht mehr realisierbar sind. „Wir werden auch weiterhin nach Lösungen suchen, um sicherzustellen, dass obdachlose Menschen auch Unterkünfte der Kältehilfe in Steglitz-Zehlendorf erhalten können“, versichert Tim Richter. Der Vorschlag, einen Wohncontainer als Wärmestube unter der Autobahnbrücke in der Düppelstraße aufzustellen, ist im Geschäftsgang der Bezirksverordnetenversammlung. Diesen Beratungen vorzugreifen, stehe dem Bezirksamt nicht zu. Jeder mögliche Standort müsse immer mit Blick auf Baurecht, Sicherheitsbedenken und Infrastruktur, aber auch auf die Finanzierung und die langfristige Praktikabilität hin ämterübergreifend geprüft werden, wenn die BVV den Antrag in einen Beschluss überführt.
Dass der Standort Wannsee in der Bergstraße nicht der günstigst gelegene Standort für eine Kältehilfe-Notunterkunft ist, ist schon seit Jahren klar: So favorisiert die Koordinationsstelle der Berliner Kältehilfe für Obdachlose leicht erreichbare Notunterkünfte innerhalb des S-Bahn-Ringes und nahe der Tangential-Verbindungen. Das Team Neue Chance kann sich indessen nicht beklagen über mangelnde Nachfrage ihrer Betten in Wannsee inklusiv einer warmen Mahlzeit, Frühstück, heißer Dusche und bei Bedarf frischer Kleidung sowie manch freundlichem Wort. Und auch der Bezirk Steglitz-Zehlendorf ist für die zuverlässige Kältehilfe-Unterstützung der gGmbH Neue Chance dankbar.
Jacqueline Lorenz