Kleine Meisterstücke
10 Jahre bau.stelle Kinderwerkstatt

Erschienen in Gazette Steglitz Mai 2025
Das Schulfach Werkunterricht, das in der Bundesrepublik Deutschland einmal fester Bestandteil des Unterrichts war und in der DDR fest zum Lehrplan gehörte, verschwindet immer mehr von den Lehrplänen oder findet in oft kläglich ausgestatteten Kunsträumen statt. – Unverständlich, bedenkt man den Fachkräftemangel und unbesetzte Lehrstellen in vielen Handwerksberufen. Erfreulich aber, dass es dennoch weiterführende Schulen gibt, die spannende Handwerksberufe über Werksunterricht jungen Menschen näherzubringen suchen. Das bewirkt auch das Angebot der bau.stelle Kinderwerkstatt von Katrin Rinne in Lichterfelde Ost. Die Architektin und Werkpädagogin hat am Oberhofer Weg 15 eine ganz besondere Werkstatt etabliert, in der kleine Leute und Jugendliche etwa im Alter von 7 bis 13 Jahren wertvolle Erfahrung mit den eigenen Händen sammeln und ihre praktischen Fähigkeiten ohne schulischen Druck entwickeln können. Kleine Meisterstücke entstehen so unter fachkundiger Anleitung. Der Spaß am Handwerken kommt mit der „Freude am Machen“ von ganz alleine und hilft, später im Erwachsenenalter keine Berührungsängste mit Hammer und Säge zu haben. – Frei nach dem Motto: Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.

Wer will die fleißigen Handwerker seh‘n, der muss hin zu Katrin Rinne geh‘n
Mit S-Bahn und Bussen gut erreichbar, kommt man vom Hinterhof aus in ihre offene, lebendige bau.stelle Kinderwerkstatt, die kleine Leute viermal wöchentlich in der Zeit von 16 bis 18 Uhr zum Werkeln erwartet. Entweder mit Anmeldung oder ganz spontan (außer dienstags) können sie vorbeikommen. „Es ist immer wieder erstaunlich, wie konzentriert die Kinder nach einem stressigen Schultag noch bei uns praktisch arbeiten. Oft reichen ihnen die zwei Stunden kaum und sie würden gerne länger bleiben“, staunt Katrin Rinne.

Die begonnenen Projekte bleiben dann in der Werkstatt bis zum nächsten Besuch. – Hier ein Hocker, an dem noch die Beine fehlen, da eine begonnene Zugbrücke, und der Lastwagen hat noch keine Räder. Und bis die kleine Spinne in das Holzgefängnis ausbruchsicher einziehen kann, sind noch etliche Kinderhandgriffe nötig. Auch Schulklassen aus der Karpfenteich-, der Kastanien- und der Paul-Schneider-Grundschule sind regelmäßige Werkstatt-Gäste, unterhält die bau.stelle doch etliche Kooperationen zu Partner-Schulen im Bereich Kulturelle Bildung. Die Schulkinder widmen sich überwiegend Themen, die kiezbezogen sind. So haben Drittklässler der Kastanien-Grundschule bereits 2017 einen Bezirksstadtplan für die Hosentasche erstellt, in dem für Kinder wichtige Stationen eingetragen sind und der nun aktualisiert werden soll, oder die Kids haben 2022 einen Modellentwurf für den Kranoldplatz von morgen erstellt, ganz nach ihren Vorstellungen mit Wasser, Spielgeräten und viel Grün.

Sein Echo hallte bis in den Bundestag, sodass die kleinen Stadtplaner ihn schließlich auf dem Kranoldplatz gemeinsam mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Ruppert Stüwe der Öffentlichkeit vorstellen durften. In den überwiegend selbst initiierten Werkstatt-Projekten kann Nachwuchs aus allen sozialen Schichten zu relativ geringen Kosten ggf. mit Zehnerkarte – Material inbegriffen – kreativ werden, mit verschiedenen Werkzeugen und Materialien experimentieren und sich niederschwellig ausprobieren. Im Mittelpunkt steht der Werkstoff Holz, den Katrin und ihr Team möglichst günstig zu bekommen suchen. Manchmal schauen auch Eltern vorbei und geben einen kleinen Holzvorrat ab. Die verschiedenen Werkzeuge, die Katrin Rinne und ihr Team Kinderhand-gerecht ausgesucht haben, sind von guter Qualität, egal ob Winde, Laubsäge oder Bohrer.

Übung macht den Meister
Ein wahres Meisterstück ist Katrin Rinne mit ihrer Kinder-Werkstatt gelungen:
Der große, gut geschnittene Werkstatt-Raum (4 x 27 Meter), der früher Buchhandel-Antiquariat war, ist ideal aufgeteilt, flexibel nutzbar und kann auch für „aktive“ Kindergeburtstage gebucht werden. Sogar Kindertheater findet Platz. Es gibt eine Zone zum Sägen und Montieren, eine zum Malen sowie einen Chill- und Gesprächsbereich. An den Wänden Material-Regale. Küche und Sanitäre Anlage hat Katrin Rinne nachträglich eingebaut. Die Miete ist erschwinglich, die Kinderwerkstatt läuft zum Selbstkostenpreis. Katrin Rinne verrät: „Sie ist Herzenssache“, und fährt fort: „Wichtig beim Vorgang des Entstehens ist, die Kinder in Lösungswege mit einzubeziehen und sie in der unabhängigen Erarbeitung von Lösungsstrategien zu unterstützen.“ Das muss nicht schnell gehen, vielmehr gilt es – möglichst gemeinsam – den für das jeweilige Projekt besten Lösungsweg zu finden und umzusetzen. Holz ist dazu besonders gut geeignet, verzeiht es doch kleine Fehler, indem es sich verhältnismäßig einfach mit Hobel oder Säge nacharbeiten und korrigieren lässt. Den jungen Handwerkern wird freie Hand gelassen. Wer beispielsweise einen Nachmittag lang nur hämmern oder feilen möchte, kann dies tun. Leistung spielt hier eine untergeordnete Rolle, dafür ist Nachdenken, aktives Handeln und Mut, sich etwas zu(zu)trauen, gefragt. Die Grenzen zwischen richtig und falsch sind dabei fließend, und schnell wird aus Spiel Ernst und umgekehrt. Fingerfertigkeiten – nicht selten gepaart mit angewandter Mathematik – spielerisch zu entwickeln, steht an vorderster Stelle.

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen
Zur Kinder-Werkstatt fand Architektin Katrin Rinne – schwerpunktmäßig beruflich im Bereich Altbaumodernisierung für private Bauherren unterwegs – eher zufällig: Ihre Tochter besuchte in Lichterfelde Ost die Villa Folke Bernadotte. Als Katrin erfuhr, dass dort dringend Vertretung für eine Erzieherin gesucht wurde, sprang sie kurzentschlossen ein. Und als sich dann die Frage stellte, was mit dem Garagengrundstück vor Ort geschehen solle, war sie ebenfalls zur Stelle. In der Garage entstand als erstes „Kinderwerkstatt-Projekt“ für die damaligen „Märchentage“ ein Pferd in Lebensgröße, gefertigt aus Pappe, Papier und viel Kleister. Auf den Geschmack gekommen mit Kindern zu arbeiten, machte Katrin Rinne an der Akademie für Kulturelle Bildung Remscheid die Zusatzausbildung zur Werkpädagogin. Fünf Jahre werkelte sie mit den Kindern in der Villa Folke Bernadotte, doch der Wunsch nach eigenen Werkstatt-Räumen wuchs. Als sie schließlich vor zehn Jahren passenden Raum am Oberhofer Weg fand, stand das Konzept. Modellbau und Tischlerhandwerk war für Katrin Rinne kein Problem: „Im Studium habe ich etliche Aufbaute gemacht. Für uns Architekten ist es ja wichtig zu wissen, wie unsere Entwürfe und Pläne umgesetzt werden können.“ Heute wird sie auf der bau.stelle auch familiär unterstützt. Beide Söhne sind Architekten, der Älteste hat lange in einer Tischlerei gearbeitet. Moritz Rinne hat den großen Werkzeugschrank gebaut und unterstützt mit seinem Wissen über Holzbearbeitung, Modellbau und Architektur die bau.stelle bei Veranstaltungen und im Projektbau. Katrin Rinne leitet nicht nur die offene Kinderwerkstatt, sondern auch die Trickfilmwerkstatt, in der die Kinder ihre Themen selbst aussuchen und die Inhalte der Filme selbst entwickeln. Dabei beschäftigen sie sich intensiv mit der Stopmotion-Technik, bei der durch das hintereinander Abspielen von Einzelbildern, vom Prinzip her wie bei einem Daumenkino, Dinge in Bewegung geraten.

Mit einer einfachen Digitalkamera wird fotografiert, und das Computerprogramm, mit dem die Filme bearbeitet werden, ist leicht erlernbar. Es ermöglicht den Kindern, ihren Film auch in Schnitt und Ton komplett selbst zu gestalten. Die fertigen Filme erhalten die Kinder dann als Datei (Stick oder DVD). Darüber hinaus entwickelt Rinne unterschiedliche Projekte, die in regelmäßigen Abständen und mit verschiedenen Kooperationspartnern stattfinden, beispielsweise in Form von Workshops. Regelmäßig an Projekten, Kursen und der Trickfilmwerkstatt der Kinderwerkstatt beteiligt ist die Kunsthistorikerin Ulrike Dierker. Dabei legen die Macher der Kinderwerkstatt auch Wert darauf, dass die Kinder auch außerhalb der Werkstatt mit Kunst und Kultur in Berührung kommen: So wird beispielsweise der Holzworkshop mit einem Museumsbesuch im Martin-Gropius-Bau verbunden oder es geht mit Experten ins Museum, um die Kunst der Frühzeit mit ihren Höhlenzeichnungen kennenzulernen.
Was Katrin Rinne besonders freut? Ihre Antwort: „Wenn ehemalige Werkstattkinder Jahre später zu uns zurück finden und unseren Rat suchen, weil sie ein Möbelstück für ihre erste Wohnung selbst bauen wollen. Sie sind herzlich willkommen und werden gerne von uns unterstützt und beraten.“
Übrigens: Im Sommer soll es anlässlich des 10-jährigen Bestehens der bau.stelle Kinderwerkstatt eine Fest-Veranstaltung geben. Mehr dazu demnächst sowie weitere Informationen zur Kinderwerkstatt unter www.baustelle-kinderwerkstatt.de
bau.stelle Kinderwerkstatt Oberhofer Weg 15, 12209 Berlin
Jacqueline Lorenz